INTERNATIONALEN
LUDOVIC-TRARIEUX-MENSCHENRECHTSPREIS 2012
Premio Internacional de Derechos
Humanos Ludovic Trarieux
2012
Internationalen Ludovic-Trarieux-Menschenrechtspreis
2012
Prêmio Internacional de Direitos
Humanos Ludovic Trarieux
2012
Premio Internazionale per i Diritti Umani Ludovic Trarieux 2012
Premiul internaţional privind drepturilor omului Ludovic-Trarieux 2012
Depuis/Since/Desde/Dal/Seit 1984
“Die Hommage von Anwälten zu einem Anwalt”
“L’hommage des avocats à un avocat ”
“The
award given by lawyers to a lawyer”
“El homenaje de abogados
a un abogado ”
“L'omaggio
degli avvocati ad un avvocato”
Der Internationalen
Ludovic-Trarieux
Menschenrechtspreis
2012
Muharrem ERBEY
(Turkey)
The "Free Muharrem Erbey !" Campaign.
Anwalt Muharrem ERBEY
(stellvertretender Vorsitzender
des IHD) seit Dezember 2009
in Haft erhält den Internationalen
Ludovic-Trarieux
Menschenrechtspreis
2012.
Die RAK Berlin richtet im Herbst 2012 die
Preisverleihung in Berlin aus und verknüpft sie, wie bei der Verleihung dieses
Preises üblich, mit einem Kolloquium zu einem menschenrechtlichen Thema. Der
Termin wird noch bekanntgegeben.
Muharrem Erbey,
Rechtsanwalt, Vizepräsident
des Menschenrechtsvereins IHD und Präsident
der IHD-Niederlassung Amed.
Am 24. Dezember 2009 gegen 5 Uhr wurden auf Veranlassung der Republikanischen
Oberstaatsanwaltschaft in Diyarbakır, einer kurdischen Stadt im Südosten
des Landes, in 11 Provinzen Operationen gegen die Partei für Frieden und
Demokratie (Barış ve Demokrasi Partisi
= BDP) und die Zweigstelle Diyarbakır des Menschenrechtsvereins IHD
durchgeführt. Unter den mehr als 80 Festgenommenen ist auch der Anwalt Muharrem
Erbey. Während die Büros der Zweigstelle
durchsucht wurden, durften die Beschäftigten die Räume nicht verlassen. Alle
Dokumente und Computer des Vereins wurden beschlagnahmt. In diesen Dokumenten
steckt die Arbeit von 21 Jahren, die bei der Aufklärung von Morden unerkannter
Täter, Fällen von "Verschwindenlassen" und
Folter eine wichtige Rolle gespielt haben.
Nach
der Verhaftung von Muharrem
Erbey durchsuchte die Polizei die IHD-Niederlassung in Amed, um „mehr Beweise zu finden“.
Neben der unrechtmäßigen Verhaftung war auch die Durchsuchung und Beschlagnahmung in diesem Büro, das in keinem Zusammenhang mit den Anschuldigungen steht, ein Justizskandal. Die Niederlassung des IHD in Amed war
nicht einmal während der Jahre des Ausnahmezustands durchsucht worden. Muharrem Erbeys Arbeit ist die eines Verteidigers der Menschenrechte.
Seit Dezember 2009, Muharrem Erbey sitzt als politischer
Gefangener im Gefängnis in der Türkei.
Der IHD ist seit 1986 aktiv und hat einen wesentlichen Beitrag für
Respekt gegenüber Menschenrechten gespielt. Er ist einer der Gründer der
Menschenrechtsstiftung TIHV. Die Bedeutung und Funktion von Menschenrechtlern
ist in internationalen Dokumenten wie der Erklärung zum Schutz von
Menschenrechtsverteidiger der UN aus dem Jahre 1998 dargelegt worden. Die
Erklärung ist auch der Versuch, die Behinderung ihrer Arbeit anzuprangern und
einen besonderen Schutz für Menschenrechtsaktivisten zu erreichen.
Mehr :
Der Brief von Muharrem Erbey
wurde uns über Jake Hess zugeleitet, der die ursprüngliche türkische Version
ins Englische übersetzt hat. Jake Hess studierte in New Hampshire (USA)
Politikwissenschaften, bevor er 2008 nach Diyarbakir (Südosttürkei) ging.
Die Demokratische Öffnung und die Illusion einer
fortschrittlichen Demokratie in der Türkei
- Von Muharrem Erbey,
Vorsitzender der Niederlassung des
Menschenrechtsvereins İnsan Hakları
Derneği (İHD) in Diyarbakır, verfasst
im Gefängnis von Diyarbakır -
„Voltaire sagte, „diejenigen, die ihre
Freiheit verloren haben, haben sie verloren, weil sie sie nicht verteidigten.“
Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776, die französische
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte der UN von 1948 betonen alle das Recht des Widerstandes
gegen Unterdrückung als ein Grundrecht und eine persönliche Verpflichtung.
Rechte und Freiheit können in jeder Gesellschaft eingeschränkt werden; Die
Frage lautet, in welchem Umfang dies geschieht, und unter keinen Umständen
dürfen diese Einschränkungen den Rahmen der Gerechtigkeit tangieren. Die
Verteidigerinnen und Verteidiger der Menschenrechte und jene, die aus
Gewissensgründen handeln, versuchen, ihrer persönlichen Pflicht nachzukommen,
wenn die Repression zum Machterhalt ausgeweitet und die Gerechtigkeit
destabilisiert wird.
In wirklich demokratischen Gesellschaften und auch in jenen, in denen die
Ausübung demokratischer Rechte nur eine Fassade ist, aufrechterhalten durch
eine Illusion, haben wir Menschenrechtsverteidigerinnen und –verteidiger es uns zum festen Prinzip gemacht, die Würde
und Ehre der Menschen zu verteidigen - ungeachtet ihrer Abstammung, ihrer
Sprache, ihrer ethnischen Identität, Religion, Klassenzugehörigkeit oder ihres
Geschlechts.
Seit seiner Gründung im Jahre 1986 setzt sich der Menschenrechtsverein
(İHD) in der Türkei vehement ein, um den Menschen bei ihrem Streben nach
Freiheit und Gerechtigkeit zu helfen.
23 unserer Mitglieder wurden aufgrund ihrer Menschenrechtsarbeit und ohne
rechtliche Grundlage exekutiert, hunderte Mitglieder, Organisatorinnen und
Organisatoren wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, und die
Organisation wurde mit tausenden Anklagen und Gerichtsverfahren überzogen.
Der Menschenrechtsverein İHD dokumentiert die zügellosen
Gesetzesübertretungen, die in unserer Region begonnen werden mit
Faktensammlungen, Berichten und Beobachtungen, und wir unterstützen die Opfer
dieser Gewalt gleichermaßen in den Gerichtsprozessen, wie auch in ihrem
weiteren Streiten um Gerechtigkeit.
Wir teilen unsere Unterlagen mit der lokalen, der nationalen und der
internationalen Gemeinschaft.
Wir kritisieren.
Jenen, die behaupten, die Menschenrechtsverletzungen seien eingestellt, sagen
wir: Nein, sie gehen weiter. Wir waren und sind dadurch Ziel von Anfeindungen.
Der Vorsitzender der Niederlassung des Menschenrechtsvereins İnsan Hakları Derneği (İHD) in Diyarbakır, der größten
Stadt in der kurdischen Region der Türkei, wurde zuletzt 1995 verhaftet, in
einer der schwersten Zeiten des Konflikts hier. Kein anderer
Niederlassungsvorsitzender wurde in den letzten 15 Jahren verhaftet, obwohl sie
mit mehr als 300 Gerichtsverfahren und Ermittlungen konfrontiert wurden.
Ich wurde plötzlich und unerwartet im Rahmen einer einzelnen Ermittlung gegen
mich im Dezember 2009 verhaftet. Gegen mich laufen gegenwärtig keine weiteren
Verfahren oder Ermittlungen.
Menschenrechte sind in aller Munde, fast wie Kaugummi, doch uns bringt man zum
Schweigen.
Als der Stellvertreter des Ministerpräsidenten Bülent Arınç
und Innenminister Beşir Atalay nach
Diyarbakır kamen, um sich mit uns zu treffen, haben wir ihnen mitgeteilt,
dass wir die sogenannte „Demokratische Öffnung“, die die Regierung seit Ende
2008 proklamiert, von Herzen begrüßen und unterstützen würden. Wir brachten zum
Ausdruck, dass wir helfen wollen würden, um die Initiative in Gang zu bringen,
und dass es dringend konkreter Schritte bedarf, um der Gewalt Einhalt zu
gebieten und dem Sterben ein Ende zu bereiten.
Was die kurdische Frage angeht, haben wir hervorgehoben, dass eine Lösung die
Legalisierung der Nutzung der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, die
Übertragung der Verwaltungsbefugnisse an lokale Stellen, die Erschaffung einer
bürgerlichen, egalitären, pluralistischen Verfassung und den Zugang von
PKK-Mitgliedern in die zivilgesellschaftliche Politik – ermöglicht durch eine
bedingungsfreie Amnestie - umfassen müsse.
Unsere Arbeit bereitete Unbehagen.
Die kurdische Frage, die das älteste Problem der Türkei darstellt und zahllose
Leben fordert, kann gelöst werden durch die Partizipation und den gemeinsamen,
breitangelegten Einsatz zahlreicher Institutionen, Organisationen und weiterer
Akteure. Die meisten Menschenrechtsverletzungen, die in der Türkei geschehen,
stehen in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der kurdischen Frage.
Es hat mehr als 29 erfolgreiche, große kurdische Aufstände in den letzten 205
Jahren gegeben, der erste in Mosul im Jahre 1806. Den 40 Millionen Kurden in
der Türkei, im Iran und Irak und in Syrien werden einfachste Grund- und
Freiheitsrechte vorenthalten, sie werden wahrgenommen als „Menschen zweiter
Klasse“, sie sind Mißhandlungen und Folter
ausgesetzt, die freie Ausübung ihrer Sprache und ihrer Kultur werden
unterbunden. Sie haben keine gesellschaftliche Stellung und können sich nicht
in ausreichendem Maß in Behörden und Verwaltung einbringen.
Es ist bezeichnend, dass, obschon die Kurden in der Geschichtsschreibung seit
Jahrtausenden bekannt sind, weder die in den kurdischen Gebieten dominanten
Machthaber, noch die internationalen Kräfte die Kurden anerkennen. Stattdessen
wird die negative Haltung, die den Kurden gegenüber besteht, willentlich
ignoriert.
Ich bin seit dem 24. Dezember 2009 in Haft, seit ungefähr 18 Monaten, weil mir
vorgeworfen wird, ich habe den Staat „im Ansehen geschmälert“, in Reden über
die Menschenrechte und die kurdische Frage, die ich an den UN-Sitz in Genf und
an das englische, das belgische und das schwedische Parlament gerichtet habe;
Beratung von Opfern hinsichtlich ihrer Anträge an den Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte; Vorbereitung von Projekten für Frauen-, Kinder- und
Menschenrechte; Mitarbeit an der Vorbereitung einer bürgerlichen,
pluralistischen Verfassung; Regelmäßige Teilnahme an Pressekonferenzen
verschiedener NGOs, und das auch noch mit Erfolg; „Moralische Unterstützung“
der PKK; Eingebungen an die Staatsanwaltschaft und die Menschenrechtskommission
des Türkischen Parlaments im Namen oder im Interesse der Opfer (tatsächlich
haben die Staatsanwälte diese Schreiben später so dargestellt, als beförderten
sie die Ziele der PKK); und dass ich Mitglied der Türkischen Versammlung der
Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK/TM) sei, einer Organisation, die als
Fortsetzung der PKK bezeichnet wird.
Als ich vor den für meinen Fall zuständigen Staatsanwalt und den Richter
geführt wurde, habe ich alle diese Aktivitäten zugegeben (- mit Ausnahme des
Vorwurfs, ich sei Mitglied der KCK), ich sagte, ich stünde dazu und bereue sie
nicht, und ich habe angekündigt, sie in vollem Umfang wieder aufzunehmen,
sobald ich das Gefängnis verlassen habe.
Im Mai 2010 wurde eine 7500 Seiten umfassende Anklageschrift veröffentlicht.
Die Aktenlage, die sich auf 152 Verdächtige erstreckt, von denen 104 in
Gefängnissen gesperrt auf den Ausgang des Verfahrens warten, umfasst 132.000
Seiten, wenn die ergänzenden „Beweise“ eingerechnet werden; Unter den
strafrechtlich Verfolgten befinden sich 15 gewählte Bürgermeister, zwei Vorsitzende
Allgemeiner Provinzialräte und zahlreiche Politikerinnen und Politiker. Wir
befinden uns jeweils seit 18, 20 oder 24 Monaten in Haft. Die Vorwürfe gegen
mich basieren teilweise auf „geheimen Zeugen“, Falschaussagen und konstruierte
Darstellungen werden verkündet. Am ersten Prozesstag haben wir erklärt, unsere
Erklärungen sowohl in unserer Muttersprache, in Kurdisch, als auch in Türkisch
halten zu wollen. Der vorsitzende Richter hat unsere Mikrophone abgeschaltet
und Kurdisch als „Unbekannte Sprache“ charakterisiert, und das Verfahren wurde
zum Stillstand gebracht und wird hinausgezögert.
Seit die Türkische Republik im Jahr 1923 gegründet wurde, gibt es Bemühungen,
alle ethnischen Identitäten zu homogenisieren - durch Mittel, wie Repression,
Zwangsumsiedlungen, Assimilation, Verhaftungen und widerrechtliche Morde,
durchgeführt durch unbekannte Täterinnen oder Täter.
Das türkische System hat sich stets Neuerungen und Veränderungen verschlossen,
indem es eine konservative Grundhaltung gegen verschiedene Identitäten und
Forderungen nach Freiheit eingenommen hat. Im Jahr 2002 saßen 52.000
Verurteilte und Verdächtigte in türkischen Gefängnissen ein, im April 2011 gibt
es 123.000 Gefängnisinsassen, die meisten von ihnen sind verurteilt.
Weist die Inhaftierung oppositioneller Politikerinnen und Politiker, kritischer
Journalistinnen und Journalisten und von Menschenrechtsschützerinnen und –schützern darauf hin, dass das türkische Regime totalitär
geworden ist? Alle Entwicklungen werden realisiert im Namen einer fortschrittlichen
Demokratie. Die Akzeptanz der Verschiedenheit ist die Essenz authentischer
Gleichheit. Versuche, die Gleichheit zu unterdrücken, kennzeichnen
Ungleichheitsmuster.
Ein wenig mehr Toleranz, Kooperation, Empathie.
Lasst uns nicht vergessen, dass jede und jeder das Recht hat, Einfluss zu
nehmen auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und dass dies zu tun moralische
Pflicht ist.
Die Menschen müssen verstehen, eine Wertschätzung gegenüber dem Leid und dem
Schmerz zu entwickeln, die sie für die Freiheit erleiden. Sie müssen Kraft
schöpfen aus den Schwierigkeiten.
Jenen trotzend, deren Herzen versteinert sind, die ihren Haß
schüren, die unerträgliche emotionale Lasten auf ihren Herzen tragen, ziehen
wir doch Kraft und Zuversicht aus dem Wissen um die Freiheit.
Alles für die Gleichheit, die Freiheit und die Gerechtigkeit…“
Seit 1984
“Die Hommage von Anwälten zu einem Anwalt”
Der Internationale Menschenrechtspreis Ludovic-Trarieux
wird einem Rechtsanwalt ohne Ansehen seiner Nationalität oder Kammerzugehörigkeit
verliehen, „der sich durch seine Arbeit, seine Aktivitäten oder sein Leiden um
die Achtung der Menschenrechte, um die Gewährung rechtlichen Gehörs, um die
Rechtsherrschaft, um den Kampf gegen Rassismus und Intoleranz in all ihren Formen
verdient gemacht hat. ”
Dieser Preis ist die älteste und renommierteste Auszeichnung für einen
Rechtsanwalt. Oftmals imitiert oder nachgemacht, bleibt er die einzige
europäische Anerkennung im Bereich Menschenrechte, dessen Dotierung einem
Anwalt zugutekommt. Die Idee zu diesem Preis geht auf einen Ausspruch Ludovic Trarieux (1840-1904) zurück, der 1898 zur Zeit der
Dreyfus-Affäre in Frankreich die „Liga für Mesnchen-
und Bürgerrechte gegründet hat.
Der Preis wurde zum ersten Mal am 27. März 1985 Nelson Mandela
zugesprochen, der 23 Jahre in den Gefängnissen Südafrikas verbracht hat. Er
wurde am 27. April 1985 offiziell seiner Tochter übergeben.
Dies war die erste Preisverleihung überhaupt. Seit 2003 ist er eine
jährlich wiederkehrende Ehrung eines Rechtsanwalts durch andere Rechtsanwälte.
Der Preisträger wird gemeinsam vom Menschenrechtsinstitut der
Rechtsanwaltskammer Bordeaux, dem Institut zur Fortbildung in
Menschenrechtsfragen der Rechtsanwaltskammer Paris, dem Menschenrechtsinstitut
der Rechtsanwaltskammer Brüssel, der Unione forense per la tutela dei diritti dell'uomo
(Rome), der
Rechtsanwaltskammer Berlin, der Rechtsanwaltskammer Luxemburg, der Union
Internationale des Avocats (UIA) und dem Menschenrechtsinstiut der europäischen Rechtsanwälte
(IDHAE). vergeben. Die Verleihung findet abwechselnd in einer der Städte statt,
in der diese Einrichtungen ihren Sitz haben.